Entstehung

Die Rektoratsschule

Die erste Nachricht von einer höheren Schule in Altena finden wir in dem Lagerbuch der lutherischen Kirche. Dies verwundert speziell den Leser wenig, der weiß, dass sich die „Latein-Schule“ auf dem Dachboden der Lutherkirche befand. Das besagte Lagerbuch stammt aus dem Jahre 1626. Heute mögen Lateinkenntnisse beim Studium vielleicht noch hilfreich sein, vor 400 Jahren war die lateinische Sprache die internationale Gelehrtensprache und somit ihre Beherrschung Voraussetzung für Kenntniserwerb. Ein gründliches Eindringen in irgendeine Wissenschaft war ohne sie überhaupt undenkbar. Alle Mittel zur Erwerbung einer höheren Bildung, Bücher, Vorträge, Unterweisungen waren in lateinischer Sprache abgefasst. Damals, im Jahre 1626, betrug die Einwohnerzahl Altenas ungefähr 2.600, aber der lateinischen Sprache mächtig waren nur ganz wenige Menschen. Zu ihnen gehörten die Pastoren der  Lutherkirche. Wenn also in Altena Interesse daran bestand, begabten und fleißigen Schülern die Gelehrtensprache Latein zu vermitteln,  lag es geradezu auf der Hand, die Kinder erzieherisch in die Obhut der Pastoren der Lutherkirche zu geben. Die Namen der ersten Lehrer finden wir im Lagerbuch von 1626: „Johann Struve. Vicarius, Rector Scholae, Conradus Fabricius, Collega Scholae“. Der Vikar der Lutherkirche war also gleichzeitig Rektor der Lateinschule, womit auch der Begriff „Rektoratsschule“ geklärt wäre. Über zweihundert Jahre lang sollte ein kleines Schulzimmer auf dem Dachboden der Lutherkirche als Klassenzimmer der Lateinschule dienen. Über zweihundert Jahre lang bemühten sich Altenas Pastoren nicht nur als Seelsorger um ihre Bürger, sondern sie waren zugleich Lehrer für Knaben bildungsbewusster Eltern.

Infolge der Bevölkerungszunahme wurde die Kirche zu klein. Man entschloss sich, sie abzureißen und eine größere zu bauen. Das geschah im Jahre 1738, wie über dem Seiteneingang der Lutherkirche in Stein gehauen geschrieben steht: Exstructum Anno 1738 – wiedergebaut im Jahre 1738 .  Selbstverständlich entstand auf dem Kirchendachboden wieder ein Schulzimmer.

Noch heute erinnert eine in Stein gehauene Gedenktafel an der Außenmauer der Kirche an die damalige Lehrertätigkeit von Altenas Pastoren.

 

 

  

Abb. 2

 

Im Jahre 1820 widmete die Gemeinde dieses Denkmal „ihren unvergeßlichen Lehrern“, den Predigern Kleinschmidt und Höcker. Wie allgemein bekannt ist,  wurde der Turm der Lutherkirche im Jahre 1738 nicht erneuert, er ist heute noch so erhalten, wie er früher war. Das erneuerte Dach der Kirche ist  darum fast so hoch wie der Turm. Zum ehemaligen Schulzimmer führt von der Bergseite aus –heute wie damals - eine Sandsteintreppe hinauf. Die Räume der alten Lateinschule wurden im Jahre 1998 optisch genauso liebevoll wie funktional auf die Bedürfnisse abgestimmt renoviert und dienen seit der Zeit als „Jugendräume“ der evangelischen Kirche.

Geistige Waffen gegen Schwerter und Kanonen

Als die alte Lateinschule Altenas das erste Mal im Lagerbuch der Kirchengemeinde Erwähnung fand, wütete in Europa und namentlich in Deutschland ein schrecklicher Krieg, den man nach seinem Ende im Jahre 1648 den 30jährigen Krieg nannte. Altena hatte hierunter sehr zu leiden. Immer wieder mussten Truppen einquartiert werden. Im Jahre 1622 quartierten sich spanisch-ligistische Besatzungen  in Altena ein. Wenig später rückte ein lothringisches Regiment vor die Burg Altena, die darauf übergeben wurde. Die Gewährung von Unterkünften kam die Bürger der Stadt teuer zu stehen. So beklagten im Dezember 1623 der Bürgermeister und der Rat der Freiheit Altena , dass die Einwohner durch die seit November 1622 erfolgten Einquartierungen Abgaben in Höhe von 15.115 Reichsthalern aufbringen mussten und daher nunmehr ungeheuer verarmt seien. Bis zum Jahre 1636 befanden sich im südlichen Teil der Grafschaft Mark  hauptsächlich spanisch-ligistische Besatzungstruppen, und der Druck der Einquartierungen wurde so groß,  dass die Dörfer und Kirchspiele im Amt Altena eine Beschwerde an ihren Kurfürsten richteten.

Darin beklagten sie sich über die „unbegreiflichen Zwangsabgaben“, die vielen „Plünderungen“, „Brandschatzungen“ und erklärten sich „bis auf den Grund ausgesogen und martyrisiert“ (4). Tatsächlich 

Abb. 3

Das „Tor am neuen Wege“  erlaubte den Besatzungstruppen die Kontrolle über Personen und transportierte Waren.

wurden die Bewohner Altenas besonders während der letzten Hälfte des 30jährigen Krieges gebeutelt und geschunden. Die durchziehenden oder stationierten Soldaten verwilderten, zum Teil bekamen sie keinen Sold, und so nahmen sie sich mit Gewalt das Wenige, was der völlig verarmten Bevölkerung noch geblieben war. Ist es Ironie des Schicksals oder ein wunderbares Zusammentreffen, dass die erste Kunde von Altenas höherer Schule in den Akten der Kirche gerade in ein Kriegsjahr fällt, welches  den besonderen wirtschaftlichen Niedergang der Altenaer Bürger bezeichnet? Im Jahr 1626, mitten in den Kriegsstürmen des Dreißigjährigen Krieges, gerade als sämtliche Verteidiger des evangelischen Glaubens aus dem Feld geschlagen waren, Norddeutschland, außer den festen Städten, den siegreichen Truppen Tillys und Wallensteins preisgegeben war, ordnete die lutherische Kirche in Altena das Unterrichtswesen der Stadt und schmiedete so geistige Waffen zum Schutze ihres reformierten Glaubens.

Prügelstrafen für die Unwissenden

Den großen Wert, den man damals auf die religiöse Erziehung legte, zeigt auch das in Latein abgefaßte Lektionsverzeichnis der Schule, dessen An­fangsbestimmungen, ins Deutsche übersetzt, folgendermaßen lauten: "Frömmigkeit, durch feinen Anstand geschmückt, ist das erste Gesetz. Mit frommem Gebet soll immer begonnen werden, und be­sonders in den Mittagsstunden vor Schlag zwölf sind fromme Reden und andächtige Lieder herzusagen." (15). Natürlich sollte der Schulunterricht mittags noch nicht beendet sein, sondern nachmittags wieder aufgenommen und sogar abends fort­gesetzt werden. Nur für die Samstage war ein freier Nachmittag vor­gesehen, damit sich die Schüler nach dem Mittagsgebet "in ehrbarer Muße erholen" konnten. Sonntags hatten sie die Epistel und das Evangelium schön abzuschreiben und die Predigt anzuhören und aus­wendig zu lernen. 

Abb. 4:  Schulweg vorbei am Küstersort

Ältere Jungen sollten als sogenannte Custodes (Aufseher) das Betra­gen der jüngeren Schüler in der Kirche, auf den Straßen und vor Beginn des Unterrichts in der Schule überwachen und das Vor­lesen, Abhören und Wiederholen der Lektionen beaufsichtigen. Im wöchentlichem Wechsel hatte jeweils einer dieser Aufseher den Schlüssel beim Lehrer abzuholen, vor der Stunde zu öffnen und mit seinen Mitschülern den Unterrichtsraum sauberzumachen. Außerdem sollte er die nötigen Ruten besorgen.

Die Prügelstrafe war nicht nur für die Unartigen vorgesehen, son­dern auch für die Unwissenden. Mit welcher Strenge man daran ging, das Bildungsniveau zu heben, geht auch daraus hervor, dass es den Lateinschülern bei Strafe untersagt war, deutsch zu reden.

Sie sollten Latein, dessen Beherrschung damals die unbedingte Voraussetzung für jedes Studium war, wie eine lebende Sprache erlernen.

 

  

Abb. 5

Die Sand(stein)treppe auf der Rückseite der Lutherkirche

Zwar reichte die Schule nur bis zum Ende der Quinta, aber wenn man anhand des Lektionsverzeichnisses sieht, dass bis dahin schon Catos Disticha und Ciceros Reden gelesen wurden, dann darf man mit Recht von einer echten Lateinschule sprechen.

August Rauschenbusch (Sohn eines Pfarrers und später selbst Pfarrer in Altena) war in den Jahren 1826 – 1828 Schüler der Lateinschule. Er schrieb über diese Jahre:

Ich dünkte mich nicht wenig, als ich zum erstenmal die Sandtreppe hinaufging, doch ist dies die schlechteste Schule gewesen, die ich je besucht habe. Der Rektor war ein sehr gemütlicher Herr, der auf nichts viel Fleiß verwandte außer auf seine Tabakspfeife, die stets frisch gestopft wurde, wenn sie ausgebrannt war. Er unterrichtete nur in Sprachen, vornehmlich Latein und Französisch, die älteren Schüler auch in Griechisch und Englisch; in den Naturwissenschaften gar nicht. Im Sommer erpressten wir jede Woche wenigstens einmal einen Nachmittag zu gemeinsamen Spazierengehen. Wollte er nicht, so jammerte die ganze Klasse, bis er verzweifelt nachgab. Dann zogen wir ins Steinsbörnchen, tranken Wasser aus dem Quell, zündeten ein Feuerchen an und brieten uns Kartoffeln. Dennoch habe ich viel von dem Rector gelernt, denn ich las mit ihm zwei Stunden lang jeden Nachmittag Herodot“ (15).

Echte Begabung lässt sich schlecht weg unterrichten. August Rauschenbusch (1816-1889) wurde später Professor am Theologischen Seminar zu Rochester in Nordamerika. Bekannt sind seine Aufsätze „Beschreibungen einer Seereise von Bremen nach New York“  und „Anweisungen für Auswanderer nach den westlichen Staaten von Nordamerika“.

Aus der Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des Gymnasiums: Günter Mähl; Altenas höhere Schule - Stationen und Begebenheiten. 2003, 3-7.

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